Die SPD-Landtagsfraktion hat sich bei einer zweitägigen Klausurtagung gestern und heute in Naumburg unter anderem intensiv mit der Einsetzung einer Enquetekommission zum "Linksextremismus" und mit dem - unter anderem auch von der AG gegen Rechtsextremismus eingebrachten - Vorschlag befasst, eine zweite Kommission zum Thema Rechtsextremismus einzusetzen.

Das Abstimmmungsverhalten zum AfD-Antrag in der letzten Landtagssitzung spielte in unserer Diskussion natürlich eine besondere Rolle. Es ist bedauerlich, dass es im Vorfeld der Antragsberatung im Landtag nicht gelungen ist, sich mit den Koalitionspartnern CDU und Grüne über ein einheitliches Abstimmungsverhalten zu verständigen. Ein geschlossenes Verhalten bei Abstimmungen im Parlament ist eine wesentliche Grundlage für die Arbeitsfähigkeit jeder Koalition und ergibt sich unmittelbar aus unserem Koalitionsvertrag. Wir erwarten deshalb, dass es in Zukunft wieder klare Verabredungen über das Abstimmungsverhalten im Landtag gibt.

Das Abstimmungsverhalten der übergroßen Mehrheit der CDU-Fraktion zum AfD-Antrag ist in keiner Weise nachvollziehbar. Für die Wahrung der Minderheitenrechte der Antragsteller bedurfte es keiner Unterstützung aus den Reihen der Koalitionsfraktionen. Inhaltlich steht der von der AfD formulierte Auftrag für die Enquetekommission in diametralem Gegensatz zu Geist und Wortlaut des Koalitionsvertrages.

Wir haben deshalb folgenden Beschluss gefasst:

I.

Die SPD-Landtagsfraktion verurteilt die durchsichtige Absicht der AfD-Fraktion, durch die Aufgabenstellung für die von ihr beantragte Enquetekommission das demokratische Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gegen Rassismus und Rechtsextremismus, die Aufklärungsarbeit der Landeszentrale für politische Bildung und die von zahlreichen Gruppen aus der ganzen Breite der Zivilgesellschaft geleisteten Aktivitäten zur Stärkung der Demokratie in haltloser Weise als "linksextremistisch" zu diffamieren. Enquetekommissionen dienen der gemeinsamen Arbeit von Abgeordneten und Sachverständigen an wichtigen gesellschaftlichen Fragestellungen. Sie sind nicht dafür da, Andersdenkende politisch zu bekämpfen und zu stigmatisieren. Die AfD missbraucht damit das ihr als Minderheit zustehende Einsetzungsrecht und das parlamentarische Instrument der Enquetekommission.

II.

1. Die SPD-Landtagsfraktion wird in der jetzt eingesetzten Enquetekommission mit dem Ziel mitarbeiten,

  • die von der AfD beabsichtigte Stigmatisierung, Herabwürdigung und Schwächung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und von Institutionen der politischen Bildung zu verhindern,
  • deutlich zu machen, dass es unmöglich ist, die Auseinandersetzung mit linksextremistischen Bedrohungen für den demokratischen Staat in Zusammenarbeit mit dessen rechtsextremistischen Gegnern zu führen,
  • den Missbrauch des parlamentarischen Mittels der Enquetekommission durch die AfD offenzulegen.

2. Maßgebend für unsere Arbeit in der Enquetekommission sind die einschlägigen Teile des Koalitionsvertrages:

  • "Populistische Parteien und Gruppierungen, die durch antidemokratische Systemkritik, einfache Scheinlösungen und Hetze das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie untergraben, gefährden das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft und die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen. Solchen Parteien und Gruppen, die das Klima in unserem Land vergiften und Menschen gegeneinander ausspielen, gilt deshalb unser Widerstand. Die Aufklärung über das Wesen dieser Gruppierungen und die Auseinandersetzung mit den von ihnen ausgehenden Gefahren erweitern das Aufgabenfeld für politische Bildung und für das Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit."
  • "Bürgerinnen und Bürger, die demokratiefeindlichen Einstellungen entgegentreten, die Opfer von Gewalt unterstützen oder die sich für die Integration von und das friedliche Zusammenleben mit Zugewanderten und Flüchtlingen einsetzen, haben die Rückendeckung von Landesregierung und Verwaltungen und werden in ihrer ehrenamtlichen Arbeit unterstützt."
  • "Die Koalitionspartner stimmen darin überein, die politische Bildung in der Landeszentrale und bei den Trägern politischer Bildungsarbeit im Land Sachsen-Anhalt zu stärken und finanziell besser aufzustellen. Weiterbildungsangebote der Landeszentrale für politische Bildung für Lehrerinnen und Lehrer werden anderen staatlichen Weiterbildungsangeboten gleichgestellt. Das gilt auch für Weiterbildungsangebote weiterer Träger im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung."
  • "Das erfolgreiche Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit wird nicht nur fortgesetzt, sondern in seinen Fördermöglichkeiten für Institutionen, Vereine und freie Gruppen gestärkt. (…) Das Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit wird als Querschnittsvorhaben der gesamten Landesregierung fortgeführt, gestärkt und sowohl ressortübergreifend als auch zivilgesellschaftlich begleitet. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, lokalen Bündnissen und Initiativen soll es in einem dialogischen Verfahren im Hinblick auf die bestehenden fremdenfeindlichen und demokratiekritischen Ressentiments weiter ausgebaut werden. Die Förderung des Landesprogramms soll in Anlehnung an die Ausstattung in den neuen Bundesländern ausgebaut und durch eine wissenschaftliche Evaluation in der Durchführung begleitet werden. Projektförderungen sollen ermöglicht werden. (…) Das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus unterstützt die Bündnisse, Initiativen und Kommunen im Umgang mit rassistischen und rechtsextremistischen Mobilisierungen. Die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt geben den von rechter Gewalt Betroffenen Hilfestellung zur Bewältigung der Folgen von Gewalttaten. Die Finanzierung dieser Beratungsprojekte und einer wissenschaftlichen Begleitung werden sichergestellt."
  • "Den massiven Anstieg rechter und rassistischer Gewalt im vergangenen Jahr beobachten wir mit großer Sorge. Wir werden die politisch motivierte Kriminalität (PMK) - ob rechtsextremistisch, linksextremistisch, islamistisch oder anderweitig motiviert - mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen."

III.

1. Durch die polizeiliche Kriminalstatistik, die Berichte des Verfassungsschutzes und wissenschaftliche Erhebungen steht außer Frage, dass die größte Bedrohung für die Demokratie in Sachsen-Anhalt vom Rechtsextremismus sowie von rassistischen Übergriffen und Diskriminierungen ausgeht. Allein im Jahr 2016 gab es nach polizeilicher Statistik in Sachsen-Anhalt 149 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten, die Opferberatung zählt sogar 265. Mindestens sieben Menschen kamen seit 1990 in Sachsen-Anhalt durch rechtsextremistische Gewalt ums Leben.

Die jüngste bundesweite Entwicklung mit deutlichen Anzeichen für die Entstehung neuer rechtsterroristischer Strukturen gibt aktuell zusätzlichen Anlass zur Sorge.

Wir halten daher die Einsetzung einer Enquetekommission zum Rechtsextremismus für richtig. Sie soll

  • sich mit rechtsextremistischen Strukturen, Organisationen und Akteuren in Sachsen-Anhalt und ihren Verbindungen zu den entsprechenden Strukturen in anderen Bundesländern auseinandersetzen,
  • ihren Einfluss in Politik und Gesellschaft und die Verflechtung mit anderen Strukturen untersuchen sowie
  • die gesellschaftlichen Grundlagen in Form rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Überzeugungen in der Bevölkerung in den Blick nehmen und die Diskussion über gesellschaftliche Gegenstrategien voranbringen.

Unser Ziel ist eine Verständigung innerhalb der Koalition auf einen solchen Antrag.

2. Der religiöse Extremismus, hier insbesondere der islamistische Terrorismus, stellt eine erhebliche Bedrohung für die innere Sicherheit auch in Sachsen-Anhalt dar. Seine Strukturen, Potentiale und ideologischen Grundlagen sollen deshalb ebenfalls Gegenstand des Enquete-Auftrags sein.

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